Zehn der besten Arten zu reisen

Basiert auf einem Artikel von Dervla Murphy (in Englisch) - The Guardian, Saturday 3 January 2009

Dervla Murphy
Dervla Murphy

In unserem Zeitalter der Mobiltelefone, Smartphones, Internetcafes und Satellitenverbindungen wird es immer schwieriger, dem allem einmal wirklich zu entfliehen - aber es ist immer noch möglich.

Dervla Murphy, die mit einfachsten Mitteln zu allen Enden dieser Erde gereist ist, gibt Tipps für das "Wie".

Tipps

Hier findet sich ganz gewiss eine Art von Ironie.

Die moderne Technologie hat aus der traditionellen, einfachen Reise etwas völlig künstliches gemacht. Wer zu früheren Zeiten reiste, war für lange Zeitperioden völlig isoliert - heute ist völlige Isolation freiwillig zu wählendes Luxusgut. Wäre ich auf einer meiner Reisen an einem geplatzten Blinddarm gestorben, zum Beispiel im Hindukusch, in Sibirien oder in den Anden, wäre das eher mein eigener Fehler gewesen - ohne mitgenommenes Zwei-Weg-Radio - als ein bedauernswertes Unglück.

Heute sind Reisen ins Unbekannte zwar irgendwie zu einem Spiel geworden, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Die Reise selbst ist nach wie vor real: Was auch immer geschieht, man muss damit klarkommen und kann nicht einfach davonlaufen. Man ist allein an dem Ort, an dem man sein wollte und man muss bereit sein, auch die Konsequenzen davon zu tragen.

Ich persönlich ziehe es allerdings vor zu vergessen, dass man heute nie und nirgendwo je völlig allein ist. Mit all diesen Satelliten kann man heute selbst dem einsamen Wanderer in der Wüste Gobi zusehen, wenn er zufälligerweise auf die Nase fallen sollte.

Um die eigene Weltflucht trotz all diesen Widrigkeiten hinzubekommen, sind möglicherweise die nachfolgenden Tipps von Nutzen.

Reiseziel

Wähle Dein Land, finde im Reiseführer die von Fremden am meisten besuchten Gebiete - und dann gehe in die entgegengesetzte Richtung

Dieser Rat riecht nach politischer Unkorrektheit. Es gilt heute als "snobistisch", eine klare Unterscheidung zwischen Reisenden und Touristen zu machen. Doch es ist auch realistisch. Der "Flucht-Reisende" braucht Platz, Einsamkeit und Stille.

Tragischerweise haben sich mittlerweile überall Strassen zu Lasten des natürlichen Lebensraum ausgebreitet. Und auch die Werbung für falsche "Abenteuer-Touren" lässt mich mit meinen wenigen noch verbliebenen Zähnen knirschen. Ein Beispiel: "Von England nach Kenia mit dem LKW! Überland Abenteuer! Sehe fünf Länder in sechs Wochen!" Wer bei klarem Verstand will denn fünf Ländern in sechs Wochen sehen?

Und wie kann man dem bloss entkommen? Ich versuche immer, abseits der ausgetretenen Spur zu gehen. So zum Beispiel auf einer Wanderung von Asmara nach Addis Abeba. Die Umstände sind zwar heute nicht mehr dieselben, aber die meisten Leute, die ich unterwegs getroffen habe, hatten noch nie zuvor einen Weissen gesehen. Selbst auf Reisen im neueren Russland oder Rumänien fand ich problemlos Routen, die sicherlich unerforschtes Land waren. Ich bewegte mich immer abseits der ausgetretenen Touristenpfade.

Geschichte

Lerne die Geschichte

Wer ohne irgendwelche geschichtlichen Kenntnisse durch eine Region reist ist ausserstande, irgend etwas über das "Warum" und "Wie" zu begreifen. In Castros Kuba zum Beispiel - dem Thema meines neusten Buchs - muss der über die 500 Jahre vor der Herrschaft Fidels uninformierte Besucher fassungslos vor einer Wand des Unverständnisses stehen.

Aber weitgehende soziologische oder politische Forschung ist nicht notwendig. Wenn du allerdings Interesse an solchen  Dingen hast, wird das deiner Reise eine zusätzliche interessante Dimension hinzufügen. Im übrigen wirst du unterwegs genügend von der aktuellen Politik mitbekommen. Und in den glücklichen Ländern, in denen die Innenpolitik den Einheimischen egal ist, kannst du sie ohnehin völlig vergessen.

Erfahre so viel wie möglich über religiöse und gesellschaftliche Tabus und respektiere sie dann gewissenhaft. In Ländern, in denen Geldgeschenke ungeeignet sind, finde heraus, was du sonst als Gastgeschenk anbieten kannst. In muslimischen Ländern wie zum Beispiel Afghanistan verbietet ein Verhaltenskodex, von reisenden Gästen Geld anzunehmen. Aus diesem Grund trug ich dort oft Geschenke für Kinder aus den lokalen Basaren mit.

Begleitung

Reise allein oder mit einem vorpubertären Kind

In einigen Ländern können sogar nur zwei Erwachsene nach gegenseitiger Unterstützung aussehen. Das kann zur Folge haben, dass die Akzeptanz durch die Einheimischen weniger spontan und damit auch unvollständig ist.

Aber die Anwesenheit eines Kindes betont dein Vertrauen in eine Gemeinschaft. Und da Kinder kaum auf rassische oder kulturelle Unterschiede achten, beseitigen jugendliche Begleiter schnell und wirksam alle Hindernisse von Schüchternheit oder Angst, die entstehen können, wenn sich Unbekannte unerwartet einem abgelegenen Dorf nähern. Eine Bestätigung dafür fand ich auf allen meinen Reisen in Begleitung meiner kleinen Tochter, und insbesondere auf unserer gemeinsamen Reise durch Kodagu in Südindien.

Plan

Bei Sonnenaufgang ist es nicht wichtig - ja meist auch nicht wünschenswert - zu wissen, wo du bei Sonnenuntergang sein wirst

In dünn besiedelten Gebieten sind ein leichtes Zelt und ein Schlafsack völlig ausreichend. In anderen Ländern vertraue ich auf das Schicksal, jeweils Schutz zu finden. Diese Abhängigkeit macht deine Reise zu einem wirklichen Erlebnis.

Nicht zuletzt sind Dorfbewohner in den allermeisten Fällen freundlich zu Leuten, denen sie vertrauen. Ich wurde überall auf der Welt in den Häusern der Dorfbewohner willkommen geheissen, wenn ich mit dem Fahrrad oder zu Fuss ankam, und ich war immer dankbar für das, was ich von ihnen bekam - in vielen Fällen einen sicheren Schlafplatz auf dem Fussboden.

"Vertrauen" ist ein Schlüsselwort für entspanntes Reisen bei Menschen. Deren Leben sollte - obwohl manchmal zu unserem sehr verschieden - zwar ein Grund zur Anpassung sein, aber sicher kein Grund für Furcht oder Misstrauen.

Antrieb

Benutze Deinen eigenen Antrieb - Fahre mit dem Fahrrad oder gehe zu Fuss

Für lange Wanderungen, weit weg von Strassen und Städten, kaufe dir ein Lasttier. Es wird deine Nahrung, die Campingausrüstung, und, wenn Brennholz knapp sein sollte, den Brennstoff für deinen Kocher tragen. Auch dein Kind kann, wenn es noch zu klein ist, um den ganzen Tag zu gehen, auf ihm reiten.

Bei der Organisation einer solchen Wanderung, plane ein, eine Woche oder zehn Tage an deinem Startort zu verbringen. Das ermöglicht dir Abklärungen über die beste Bezugsquelle für Lasttiere. Achte auf einen zuverlässigen Berater. Ein Pferdekenner -  am besten jemand ohne direkte Verbindung zu den Händlern - ist dafür am Besten geeignet. In Äthiopien - im Jahr 1966 - hatte ich das Glück, von der Prinzessin Aida, der Enkelin des damaligen Kaisers Haile Selassie, beraten zu werden. Dabei wurde ein  halbes Dutzend Maultiere rund um den Hof eines königlichen Palastes eigens für meine Inspektion vorgeführt.

Ein Jahrzehnt später - in Baltistan - kaufte ich ein pensioniertes Polo-Pony, um meine sechs Jahre alte Tochter Rachel zu tragen. Dazu kamen unsere Campingausrüstung und Zubehör, darunter zwei Säcke Mehl, weil die Dorfbewohner im Karakorum Gebirge während des Winters kein Essen für Besucher übrig haben.

In Peru ritt die mittlerweile neun Jahre alte Rachel die ersten 600 Meilen ab Cajamarca ein Maultier namens Juana, bis eine Futterknappheit sie zwang, die restlichen 900 Meilen bis Cuzco zu Fuss zu gehen. Juana war so schwach geworden, dass sie nur noch unsere Ausrüstung tragen konnte.

Es ist wichtig, mit leichtem Gepäck zu reisen. Mindestens fünfundsiebzig Prozent der heute in Camping-Geschäften verkauften Sachen - seien es Reise-Wäscheleinen, Campingstühle, leichte Haartrockner und dergleichen mehr, ist völlig überflüssig. Meine Grundausrüstung umfasst - auch wenn das sicher von der jeweiligen Reise abhängt - ein leichtes Zelt, einen Schlafsack für die Temperatur des Landes und einen Kocher mit Pfanne.

Möglichkeiten

Wenn dich ein Packtier unterstützt, lerne alles über die Möglichkeiten für Dein Tier im dem Gebiet, durch das Du reisen willst

Denke immer daran, dass ein toller Campingplatz für dich für ein hungriges Pferd ein Katastrophengebiet sein kann. Dann musst du weiterziehen, oft an einen Platz, der zwar für dich als Menschen alles andere als ideal ist, der es aber deinem Packtier erlaubt, genügend Gras zu fressen.

Menschen können den Geist über die Materie stellen und eine Mahlzeit einmal auf den nächsten Tag verschieben, wenn es am Ort, an dem sie gerade sind, einmal nichts zu beissen gibt. Ein Pferd kann das  nicht. Wenn es um sechs Uhr dreissig abends kein Futter findet, kann es sich nicht mit dem Gedanken trösten, dass es sich ja am nächsten Tag um dieselbe Zeit vollstopfen kann. Und es gibt kaum etwas, das mehr Schuldgefühle weckt, als einem Tier, das den ganzen Tag schwer für dich gearbeitet hat, das wohlverdiente Futter vorzuenthalten.

Gegenwart

Das Internet und e-mails verderben jede echte Weltflucht

Lass dein Mobiltelfon, deinen Laptop-Computer, deinen iPod und alle diese Verbindungen zu Familie, Freunden und Arbeitskollegen zu Hause. Konzentriere dich auf die Umgebung, in der du gerade bist. Die greifbare Welt um dich herum bietet genügend Unterhaltung. Zunehmend sieht man in Hostels und Pensionen "unabhängig" Reisende mehr vor dem Computer sitzend statt im Gespräch mit anderen Reisenden oder Einheimischen. Sie scheinen sich nur teilweise "im Ausland" zu befinden, völlig unfähig dazu, ihre Verbindungen nach Hause zu kappen.

Ich finde den heutigen "Kindermädchen-Staat" - und den damit einhergehenden Trend bei den Eltern, ihre Kinder immer und überall beschützen zu wollen - alarmierend. Er verhindert zuverlässig, dass die jüngere Generation zu selbständigen Menschen heranwächst.

Und wer hat an dieser Isolierung im Internet schuld? Wer von seinen Angehörigen unterwegs täglich (manchmal sogar zwei Mal am Tag) eine E-Mail-Bestätigung erwartet, dass alles o.k ist.

Sprache

Lass Dich nicht von der Sprachbarriere aufhalten

Obwohl fehlende Sprachkenntnisse den Austausch von Ideen vereiteln, sind sie auf der praktischen Ebene eigentlich unerheblich. Ich bin auf vier Kontinenten mit nur Englisch und einigen wenigen freundlichen Sätzen in Tibetisch, Amharisch, Quechua, Albanisch oder was auch immer gewandert. Unsere Grundbedürfnisse - Schlafen, Essen, Trinken - können wir immer  durch Zeichen vermitteln, und wir werden weltweit verstanden.

Auch auf der emotionalen Ebene ist die Sprachbarriere ziemlich porös. Grundlegende Kommunikationshilfen wie vor allem unsere Augen sind wunderbar ausdrucksstark. In unserem Alltag ist das Ausmass selbstverständlich, in dem wir wortlos kommunizieren. Auch an einem Ort, wo niemand innerhalb von 100 Meilen irgend ein Wort einer beliebigen europäischen Sprache kennt, kannst du die volle Bandbreite an Stimmungen und Gefühlen genau so gut durch Blicke wie durch gesprochene Worte vermitteln.

Vorsicht

Sei umsichtig, auf der Hut, aber nicht furchtsam

Die weit verbreitete Annahme, dass nur mutige oder leichtsinnige Menschen Alleinreisen abseits der ausgetretenen Pfade unternehmen, ist unbegründet und falsch. In der Tat sind alle Aussteiger extrem vorsichtig. Das ist eines ihrer Markenzeichen und ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebensverhaltens.

Sie prüfen vor der Reise sorgfältig, ob und welche Gefahren auf sie warten, und sie ändern - sollten diese als übertrieben erscheinen - ihre Route. In allen anderen Fällen bereiten sie sich darauf vor, mit allen ihnen angemessen erscheinenden  Gefahren angemessen umgehen zu können.

Zugegeben, es handelt sich dabei auch um eine Einstellungs-Sache. Ist eine Flasche halb leer oder halb voll? Warum sollten meine Knochen irgendwo im Ausland eher brechen als zu Hause? Ich zum Beispiel habe mir einen Armknochen zerschmettert, als ich zu Hause über mein Katze gefallen und dabei gestürzt bin.

Optimisten glauben nicht an Katastrophen, bis sie wirklich eintreffen. Sie sind daher nicht von vornherein ängstlich - aber das ist einfach eine Lebenseinstellung. Sie hat nichts mit Mut zu tun.

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